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Vegane Weihnachten?

Autorenbild: Andrea HinzAndrea Hinz

Aktualisiert: 5. Jan.

Schon ab Oktober “weihnachtet” es in Supermärkten, Läden und online um die Wette. Angesichts dessen kommen Gedanken an die Weihnachtsfeiertage auf und bei vielen VeganerInnen eine Sorge: Dass es wieder nichts wird mit dem “vegan für alle” und stattdessen wieder einmal eine vegane Alternative zu den ansonsten tierlich- oder fischlastigen Gerichten auf den Teller kommt. Was können wir tun, damit wir Freude am Beisammensein haben mit Familie und Freunden – denn das ist doch das wahre Geschenk in dieser Zeit, oder?



Weihnachts-Setting und Anspruchsdenken

Rot, grün, weiß, dazwischen Gold und Glitzer. Viel Kerzenschein in der dunklen Jahreszeit und die Vorbereitungen laufen an für das “wichtigste” Fest des Jahres, an dem es, wenn wir der Werbung und all den Weihnachtsfilmen glauben, um Liebe und Besinnlichkeit geht. Die Latte liegt hoch und ebenso der Anspruch derjenigen, die einladen – es soll einfach perfekt werden. Für die gemeinsame Zeit mit Familie oder Freunden legen sich die GastgeberInnen meist wahnsinnig ins Zeug und freuen sich, wenn es allen schmeckt, alle satt und zufrieden sind. Denn das sorgt für gute Stimmung und alle gehen beseelt auseinander. All das in Folge oft über drei Tage und in unterschiedlichen Konstellationen: Vom Weihnachtsfrühstück über den Weihnachtsbrunch zum Weihnachtsessen. In den Wochen davor ist genug Zeit zum Üben mit Plätzchenbacken, Adventstreffen, Nikolaus und zwischendurch geht’s auf die Weihnachtsmärkte.


Was macht das Weihnachtsessen so besonders?

Ob Weihnachtsessen, Osteressen, Geburtstagsessen oder sonstiges Ereignis. Es geht oft einfach darum, Familie zu erleben und die Familienbande zu stärken. Zugehörigkeit ist dabei wohl das stärkste Bedürfnis und hat auch Vertrauen, Unterstützung und Sicherheit im Gepäck. Wenn alles gut läuft, fühlen wir uns “aufgetankt” und sind dankbar, dass wir einander haben. Ein gutes “Miteinander sein” ist der Kitt, der die Familie oder auch Freundschaften, Gruppen, Gesellschaften zusammenhält. “Gemeinsam Essen” ist dafür die älteste, recht simple und zielführende Strategie, um “alle an einen Tisch zu holen”, zusammen zu essen, zu quatschen und zu genießen. 

Was passiert, wenn jemand aus einer Gruppe, einer Gemeinschaft, etwas anderes zu Essen bekommt? Genau, in dem Moment gehört diese Person nicht mehr so ganz dazu, sie wird sichtbar zum “Außenseiter”. Das fühlt sich einfach nicht gut an, auch wenn sich jemand von Herzen bemüht, auf eine andere Ernährungsform einzugehen und sich dazu viele Gedanken gemacht hat. 


Es geht nicht um eine Ernährungsform, es geht um ein anderes Mindset

Für viele Nicht-VeganerInnen ist Veganismus nur eine Ernährungsform. Und für Food-Tech-Start-Ups und Lebensmittelkonzerne sind pflanzliche “Alternativprodukte” ein Umsatztreiber und Imagefaktor für die KundInnen der nahen Zukunft. Begriffe wie 100% pflanzlich oder 100% plant based verwässern den Begriff “vegan” und könnten dazu verleiten, dass “vegan sein” nur ein anderes Essverhalten ist. Doch das ist es eben nicht und es ist wichtig, dass unsere nicht-veganen Familienmitglieder und Freunde dies verstehen. Dabei geht es ja sogar um Werte, die auch für die meisten Omnivore, FlexitarierInnen oder VegetarierInnen relevant sind. Sie werden halt nur ausgedehnt auf die sogenannten Nutztiere. Es geht um die Wertschätzung des Lebens, das Recht auf Leben und Unversehrtheit. Und wenn allen wichtig ist, niemandem Leid zuzufügen, teilen wir die gleiche Ansicht. 

Bei einem veganen aka 100% pflanzlichen Menü werden keine Werte von Nicht-VeganerInnen berührt. Hingegen werden die Werte von VeganerInnen verletzt, wenn Tiere für ein Essen getötet werden. Ganz abgesehen davon passt Leid auch so gar nicht zu einem friedvollen Weihnachtsfest. 


 

Hier findest du ein Whitepaper zum download mit den Begriffen Veganismus, Speziesismus und Karnismus, das bei deinem Gespräch von Nutzen sein kann.

 

Warum es so schwer ist, die Entscheidung zum Veganismus zu verstehen

Niemand der Nicht-VeganerInnen möchte eine Katze oder einen Hund an Weihnachten verspeisen. Den sogenannten Haustieren werden die gleichen Gefühle und Bedürfnisse zugeschrieben, wie Menschen und es geht manchmal so weit, dass sie vermenschlicht werden, geliebt werden wie ein eigenes Kind à la ”das letzte Kind trägt Fell”. Haustiere haben Namen, sind Familienmitglieder und werden als Individuen wahrgenommen. Sie können meist ein friedliches, gut behütetes Leben führen. Im krassen Gegensatz dazu steht das Leid der sogenannten "Nutztiere". Sie alle haben ebenso Gefühle und Bedürfnisse, nur dass die meisten Menschen es schaffen, dies auszublenden und zu verleugnen. Sie werden ja auch in eine andere “Schublade” gesteckt, als “Nutztiere” bezeichnet, verlieren ihre Individualität, werden als Ding, als Ware gesehen und auch noch so qual-gezüchtet, dass sie möglichst effizient Fleisch und Milch geben. Diese Sichtweise wird permanent gestärkt durch Werbung, Kochshows, Restaurants, all die traditionellen tierlichen Gerichte, all die neuen tierlichen Gerichte, von der Martins- bis zur Weihnachtsgans. “Leckere” Bezeichnungen und Beschreibungen lassen den meisten Nicht-Veganerinnen “das Wasser im Mund zusammen laufen”, der Geschmackssinn wird durch all die schönen Worte und Beschreibungen permanent getriggert. Das Stück Fleisch wird vom lebenden Tier getrennt. Alles so schön normal. Gefangen in einer anderen Wirklichkeit und gesteuert durch angelernte Verleugnungs- und Vermeidungsstrategien, ist es schwer, diejenigen zu verstehen, die das ganz anders sehen. Und ja, es gibt sicherlich Orte und Regionen auf dieser Welt, wo ein Überleben nur möglich ist, wenn Tiere dafür sterben. Doch vor allem hier in Deutschland, in Europa, haben alle die Möglichkeit, sich anders zu entscheiden. Eine Entscheidung gegen Tierleid, die weitere positive Auswirkungen hat, wie mehr Gesundheit, mehr Nachhaltigkeit, globale Gerechtigkeit und ein echter Hebel ist gegen die Klimakatastrophe.


Braucht es für Weihnachten einen Survival-Guide oder mehr Empathie?

Mit der Entscheidung zum Veganismus ist meist der sehnlichste Wunsch verbunden, dass insbesondere die Menschen, die uns nahe stehen, ebenso zu dieser Lebensweise finden und das tierbasierte Lebensmittelsystem, das auf Leid und Ausbeutung von Tieren, wie auch den darin arbeitenden Menschen beruht, nicht weiter unterstützen. Das dies oft nicht passiert, führt zu Enttäuschung, Frustration, vielleicht sogar zur Trennung. 

Dabei können VeganerInnen meistens sehr gut die Perspektive von Nicht-Veganerinnen einnehmen und verstehen, wo die Widerstände liegen. Und dieses Verständnis schafft Verbindung, ist eine gute Basis, von der aus eine wohlwollende Haltung eingenommen werden kann, bevor man in ein Gespräch über das Weihnachtsessen geht. 


Wenn es um ein Gespräch mit den nicht-veganen Eltern geht

Unsere Eltern haben es gut gemeint, sie wollten nur das Beste für uns und haben sich die größte Mühe gegeben für uns Leckeres zu kochen – so wie es für sie richtig und gut war. Dadurch, dass wir uns für eine andere Ernährungsform entschieden haben, fühlen sie sich wahrscheinlich kritisiert, sind vielleicht enttäuscht und gehen alleine schon dadurch in den Widerstand und sind gar nicht bereit uns zuzuhören. Die Vergangenheit wert zu schätzen hilft hier, um in Verbindung zu bleiben. 

Ein weiterer Aspekt ist, dass Nicht-VeganerInnen oft nicht wissen, wie sie gut und lecker vegan kochen, geschweige denn ein traditionelles Gericht veganisieren können. Und das löst Stress aus, was ebenfalls in Widerstand und ein nicht-zuhören-können mündet.

Wenn wir diese Themen offen ansprechen, indem wir Vermutungen äußern und das Gegenüber uns signalisiert, ob wir damit richtig liegen, können wir Sorgen aufgreifen und bestenfalls “aus dem Weg räumen”.


Mein veganes Weihnachten!

Genauso, wie VeganerInnen der Gedanke an das Weihnachtsessen stresst, so stresst es wahrscheinlich auch die nicht-veganen GastgeberInnen. Also möglichst bald das Gespräch suchen und Klarheit zu bekommen, entlastet auf beiden Seiten. Sich darüber auszutauschen, was einem wichtig ist, Gemeinsamkeiten finden und die Werte zu benennen, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen, ist die Basis für die gemeinsame Lösungsfindung. 

Welche Lösung es letztendlich wird, ist der gemeinsamen Kreativität überlassen. VeganerInnen könnten die GastgeberInnen werden und ein tolles veganes Weihnachtsessen zaubern. Sind die anderen die GastgeberInnen kann gemeinsam das Menü kreiert, gemeinsam gekocht werden oder jeder bereitet einen Teil vor. Wichtig ist, dass alle mit der Lösung happy sind und mit Freude und Neugier dabei sind – entweder das beliebte Familiengericht abwandeln oder etwas ganz Neues ausprobieren.


Und was, wenn es kein Happy End gibt?

Wie realistisch ist es, dass es zu deinem veganen Weihnachten kommt? Wenn Reden nicht funktioniert und es doch nicht klappt, stellt sich die Frage, wie damit umgehen? Hier braucht es wieder einmal Empathie. Empathie für unsere eigene Enttäuschung, Frustration und Trauer, dass unsere Strategie diesmal nicht erfolgreich war. Und da dazu immer zwei gehören, brauchen wir viel Empathie für den anderen, der einfach noch nicht bereit war. Darauf müssen wir uns einstellen und schauen, welche Konsequenzen wir daraus ziehen. Mit anderen VeganerInnen in den Austausch gehen, lindert den Schmerz und hilft, sich zu stärken und selbstbewusst das Weihnachtsfest zu begehen, auch wenn es anders wird, als du es dir vorgestellt hast. Doch vielleicht können die Nicht-VeganerInnen dann immerhin sagen “ich verstehe dich” – und das ist doch ein wunderbares Geschenk.



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