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AutorenbildUwe Käufer

"Vegane Mythen"

Aktualisiert: 5. Jan.

Faktenchecks, Erklärungsversuche, Perspektivwechsel und Kommunikationstipps


“Ich verstehe nicht warum VeganerInnen vegane Wurst essen, das ist doch total inkonsequent”, oder “Vegan … das ist mir zu extrem!”.  Diese und ähnliche Aussagen sind dir bestimmt auch schon öfter in Gesprächen über Veganismus oder Tierrechte begegnet. Wir schauen uns einige dieser veganen “Mythen” genauer an, versuchen zu erklären, was dahinter steckt, wagen einen Perspektivwechsel und finden Lösungen in einer bestimmten Form der Kommunikation. 



Was steckt hinter “veganen Mythen”?

Der Begriff “Mythen” ist in diesem Blog nicht als mythische Erzählung zu verstehen, sondern als eine Sammlung von auf Unwissen, Falschinformationen, Vorurteilen, Glaubenssätzen und psychologischen Abwehrreaktionen (siehe Karnismus) basierenden Vorstellungen, die von der Mehrheit der Gesellschaft geteilt werden und unreflektiert als Wahrheit wahrgenommen werden. Oftmals handelt es sich um vage Behauptungen, die nicht auf Fakten basieren. Sie dienen dazu, den Status Quo aufrechtzuerhalten und sich vor einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Veganismus und dem Leid und den Rechten von Tieren zu schützen. Dabei teilen die meisten Menschen dieselben Moralvorstellungen, wie zum Beispiel Leiden und Schmerz zu vermeiden und zu verhindern – auch das Leid von nicht-menschlichen Tieren. Dennoch verhält sich die Mehrheit der Menschheit diametral zu den eigenen Werten. Es wird als normal, notwendig und natürlich empfunden, nicht-menschliche Tiere für den Konsum auszubeuten, zu quälen und zu töten. Dieser innere Widerspruch erzeugt eine kognitive Dissonanz und wird vielen Nicht-VeganerInnen allein in Gegenwart von VeganerInnen und erst Recht in Gesprächen über Veganismus und Tierrechte bewusst. Es kommt zu Abwehrreaktionen. Zum Beispiel mit Hilfe von Rechtfertigungen oder indem vegane Überzeugungen lächerlich gemacht oder als “extrem” dargestellt werden. Fakten werden geleugnet oder verdreht. 


Dissonanzen führen zu Abwehrreaktionen

Wenn in Gesprächen “vegane Mythen” herangezogen werden, ist es einerseits hilfreich, ein paar Fakten parat zu haben, um damit aufzuklären und Denkanstöße geben zu können. Gleichzeitig ist die Art der Kommunikation sehr wichtig, denn niemand lässt sich gerne belehren. Die Menschen reagieren auf Belehrungen mit Abwehrreaktionen. Genau dies passiert leicht, wenn wir in einen “Erklär-Modus” verfallen und unser Gegenüber mit Fakten überhäufen, die dann meist gar kein Gehör finden (können). Denn wenn eine Dissonanz spürbar wird, entsteht Stress und für Stress gibt es drei Reaktionsmöglichkeiten: Fight, Flight, Freeze, also Angriff, Flucht, Tot stellen. Demnach wird die Aussage lächerlich gemacht, das Gegenüber wechselt das Thema oder beendet die Kommunikation. Da die Nicht-VeganerInnen die Mehrheit der Bevölkerung darstellen (ca. 97 % in Deutschland) und sich damit per se eher “im Recht fühlen”, kommt es wahrscheinlich in den meisten Fällen zum Angriff. Was also tun?


Einblick in die eigenen Gefühle und Empathie für die anderen

Wollen wir in Verbindung mit unseren GesprächspartnerInnen kommen und bleiben, ist es notwendig, dass  wir genau zuhören und versuchen herauszuhören und zu verstehen, was genau hinter der Abwehr steckt. 

Dazu können wir Fragen stellen und empathische Vermutungen äußern. Was bewegt die Person? Was ist der Person wichtig? Hat die Person vielleicht Ängste und Sorgen in Bezug auf vegane Ernährung oder selber Ablehnung im sozialen Umfeld zu erfahren, wenn sie vegan wäre? 

Weiterhin können wir mit “Ich-Botschaften” von unseren veganen Werten und Überzeugungen sprechen und somit Einblick in unsere Welt geben, ohne der Person unsere Werte aufzuerlegen. Können wir in Verbindung kommen, haben wir Vertrauen geschaffen, entsteht ein Safe Space. Wir haben unserem Gegenüber signalisiert, dass wir sie oder ihn verstehen. Nun wird es auch möglich sein, ohne dass die Person in Abwehr geht, klar zu äußern, dass wir sie oder ihn verstehen und gleichzeitig nicht mit ihrem / seinem Verhalten einverstanden sind. Jedes Gespräch ist ein wunderbares Lernfeld, das uns selber weiter bringt und hilft, dass wir selber mit der Zeit weniger "getriggert" werden.


11 “Vegane Mythen”

Die folgenden “veganen Mythen” und nicht-veganen Glaubenssätzen begegnen uns immer mal wieder. Wenn auch du sie hörst, ist es hilfreich, die Fakten parat zu haben und somit den nicht-VeganerInnen Informationen und Denkanstöße geben zu können. Und gleichzeitig in einer Art zu kommunizieren, die einen offenen Austausch fördert.


“Was ich esse, ist meine persönliche Entscheidung.”

Essen ist lebensnotwendig, sehr individuell und vom Geschmack bestimmt. Niemand möchte sich vorschreiben lassen, was gegessen wird. Es geht um Entscheidungsfreiheit und Autonomie. Wir können hier signalisieren, dass wir dieses Bedürfnis verstehen und gleichzeitig nicht damit einverstanden sind, wenn dadurch Tiere leiden. Denn werden tierliche Produkte verzehrt, erfolgt diese Entscheidung meist ohne Berücksichtigung der Konsequenzen dieser Entscheidung für die Tiere. Das Tier wird zum Produkt, zum Objekt und sogar zum Besitz. Ich will auf mein Fleisch nicht verzichten!”. Tiere sind jedoch fühlende Lebewesen mit dem Recht auf ein leidfreies Leben und mit eigenen Bedürfnissen. Damit ist das Essen tierlicher Produkte keine persönliche Entscheidung, sondern eine Entscheidung, die die Freiheit nicht-menschlicher Personen, der Tiere, verletzt und sogar zu deren Ermordung für das Essen führt. Wenn die Tiere in diese Entscheidung mit einbezogen würden, wäre ihre Wahl eindeutig. Sie würden sich natürlich für ihr Leben entscheiden.

Oder: “Leben und leben lassen…” – hier wird Toleranz für das eigene Verhalten gefordert. Wiederum muss diese Toleranz Grenzen haben, wenn Dritte durch ein Verhalten Leid erfahren. Dieser Spruch ist besonders im Kontext der Tierausbeutung zynisch, da von “leben lassen” gesprochen wird. Hier werden die Tiere eben nicht gefragt und am Leben gelassen, sondern  ermordet – in der Fleisch- und Fisch-  wie auch in der Eier- und Milchindustrie!


“Veganismus mag ja einige Vorteile haben, aber Fleisch/Fisch/Käse ist doch so lecker.”

Diese Aussage scheint Zustimmung zu den Vorteilen des Veganismus zu suggerieren, tatsächlich wird durch das “aber” im Nebensatz das Gegenteil ausgedrückt: Keine Zustimmung. Die Begründung, die folgt, stellt das persönliche Bedürfnis nach Genuss, “lecker”, über das Recht der Tiere auf Leben und Unversehrtheit. Der Fakt, dass Tiere zum alleinigen Zweck der Ausbeutung (zwangs-)geboren werden, ein meist leidvolles, sehr kurzes Leben haben und dann alle, egal ob bio oder konventionell, durch Anwendung von Gewalt ermordet werden (nein, die Tiere bekommen im Schlachthof keine Beruhigungsspritze und keine Narkose) steht in keinem moralischen Verhältnis zu einem Geschmackserlebnis von wenigen Sekunden. Und dies zumal rein pflanzliches Essen ebenso genussvoll ist und eine riesige Geschmacksvielfalt bietet. Das Bedürfnis nach Genuss beim Essen kann komplett tierleidfrei erfüllt werden. 

In dieser Situation kannst du die Person zu fragen, wie sie aus ihrer eigenen moralischen Sicht heraus das Bedürfnis nach Geschmack im Vergleich zu dem dadurch erzeugten Leid bewertet. Diese Frage regt zur Reflektion an, während eine reine Aussage eventuell nur hingenommen oder sogar als Angriff interpretiert wird. Die eigene moralische Sichtweise sollte als “Ich”-Botschaft und nicht als verallgemeinert formuliert werden. 

Die nicht-vegane Person könnte allerdings auch in der Art reagieren, dass sie in Frage stellt, dass ihr Verhalten Leid erzeugt oder dass die Person den Glaubenssatz “Nutztiere sind doch zum Essen da” (siehe unten) anbringt, um der Auseinandersetzung zu entgehen. Du kannst die nicht-VeganerIn fragen, ob ihr bewusst ist, welches Leid die Tiere für den eigenen Genuss ertragen müssen. Sehr wahrscheinlich wurden die Konsequenzen des Genusses komplett verdrängt und diese Frage kann das erzeugte Leid wieder in den Fokus bringen. Wenn die Frage verneint wird, kannst du fragen, ob die Person offen für Informationen zur Ausbeutung der Tiere ist. 


“Nutztiere sind doch da, um gegessen zu werden.”

Dies ist der Freifahrtschein für die Tierausbeutung. Der Status quo in unserer Gesellschaft wird als eigene Rechtfertigung genutzt. Es war schon immer so und man kennt es nicht anders, also muss es stimmen. Auch ist es eine Manifestation des Speziesismus. Sogenannte landwirtschaftliche “Nutztiere” sind zum Essen da. Also eine Ausbeutung und Unterdrückung aufgrund der Spezieszugehörigkeit. Zudem erfolgt einen Objektivierung und Anonymisierung. Es geht nicht um einzelne individuelle Tiere, sondern um die “Nutztiere”. Es gibt keine Grundlage oder Rechtfertigung für diese Aussage. Alle Lebewesen haben ein Recht auf ein leidfreies Leben, frei von Ausbeutung. Tiere sind nicht für den Menschen da, sie leben um ihrer selbst willen. Sie sind einzigartige Individuen mit Bedürfnissen und Fähigkeiten und es gibt keine moralische Begründung für ihre Ausbeutung durch uns Menschen. Es ist in unserer westlichen Gesellschaft nicht mehr lebensnotwendig, Tierprodukte zu essen. Es gibt unzählige pflanzliche Lebensmittel. Achtung: “Erklär-Modus” Gefahr! Wäre es nicht effektiver, statt sofort Fakten zu bringen, zunächst nachzufragen, auf welcher Basis die Person diese Aussage trifft. Woher kommt dieser Glaubenssatz, wie ist dieser zu verstehen und was denkt die Person selbst? Was rechtfertigt diese Aussage? Wird die Person ihrem eigenen Anspruch an Autonomie, freiem Denken und Intellekt gerecht, wenn sie diese Aussage unreflektiert übernimmt?


“Du mit deinem Veganismus gibst mir das Gefühl, ein besserer Mensch als ich zu sein.

Nicht-VeganerInnnen stellen sich selbst als Opfer dar und geben VeganerInnen die Schuld dafür verantwortlich zu sein: “Du bist Schuld, dass ich mich als schlechterer Mensch fühle.” Es wird ein sogenanntes Pseudogefühl geäußert. Pseudo, weil echte Gefühle von innen, aus einem selbst heraus entstehen. Wir sind selber für unsere Gefühle verantwortlich. Unser Gegenüber kann der Auslöser für Gefühle sein, nie jedoch die Ursache. In diesem Fall sind VeganerInnen allein durch ihre Gegenwart oder durch die Äußerung ihrer ethischen Werte der Auslöser. Nicht-VeganerInnen spüren die kognitive Dissonanz zwischen ihrem Handeln und ihren ethischen Werten. Sie fühlen sich unwohl, vielleicht sogar schuldig, da sie realisieren, dass sie gegen ihre eigenen moralischen Werte verstoßen. Schuld und Scham sind sehr starke Gefühle, die schwer zu ertragen sind und auch mit starken Körperreaktionen verbunden sein können. Es kommt zu Abwehrreaktionen, Rechtfertigungen oder Schuldzuweisungen: Du bist Schuld, dass ich mich schuldig fühle.” 

In dieser Situation kann es helfen, empathisch zu reagieren und VeganerInnen zu unterstützen, durch Fragen selbst zu erkennen, dass nicht VeganerInnen die Ursache sind, sondern die eigene kognitive Dissonanz: “Ich bedaure, dass du dich so fühlst, magst du mir sagen, was genau dieses Gefühl bei dir ausgelöst hat?”.


“Die Tiere sind doch nur da, weil ich sie esse.”

Dieser Mythos taucht auch oft in einer ähnlichen Form auf: Die Nutztiere würden ja aussterben, wenn alle vegan wären”. Tatsächlich ist die Aussage logisch sogar richtig. Die sogenannten Nutztiere existieren ja in erster Linie, weil sie für den menschlichen Verzehr gezüchtet bzw. zwangsweise vermehrt werden. Allerdings wird hier versucht, die Ausbeutung und Ermordung von sogenannten “Nutztieren” damit zu rechtfertigen, dass sie ohne diesen vermeintlichen Lebenszweck nie geboren worden wären oder eine Rasse aussterben würde. Es wird implizit postuliert, dass die Tiere ein gewolltes, schönes, selbst bestimmtes Leben führen können. Ein Leben, das lebenswert ist. Sogenannte “Nutztiere” entscheiden aber nicht selbst über ihre Fortpflanzung. Diese ist vom Menschen geplant und wird meist gewaltvoll durch Zwangsbesamung umgesetzt. Das Leben der meisten “Nutztiere” ist von Qualzucht, Verstümmelungen und Lebensbedingungen geprägt, die allein durch wirtschaftliche Interessen des Menschen und nicht durch die  Bedürfnisse der Tiere bestimmt werden. Ein schon vor der Geburt geplantes qualvolles Leben und ein geplanter gewaltsamer Tod ist für uns Menschen eine furchtbare Vorstellung. Bei den sogenannten “Nutztieren” ist es Normalität. Hier sollte jeder zustimmen, dass es besser ist, niemals geboren zu werden, als ein “Leben” (wenn man hier von Leben reden kann!) als “Nutztier” führen zu müssen. Wieder bietet es sich an, Nicht-VeganerInnen nach Details zu fragen: “Was meinst du genau mit deiner Aussage?”, “Wie stellst Du dir das Leben von sogenannten “Nutztieren” vor?”, “Wie würdest du es finden, wenn du nur geboren wurdest, um für das Essen einer anderen Spezies getötet zu werden?".


“Supplements sind unnatürlich”

Dieser Mythos möchte die pflanzliche Ernährung als unnatürlich deklarieren und damit diffamieren. Es lohnt sich nachzufragen, was genau gemeint ist und welche Bedenken, Vorbehalte oder gar Ängste die Nicht-VeganerInnen genau haben. Der Wunsch zu verstehen und echtes Interesse, kann Verbindung schaffen. Vielleicht hat dein Gegenüber die Aussage unreflektiert übernommen. “Ich höre, du hast Bedenken gegenüber Supplements, was genau stört dich daran?”. “Ich würde sehr gerne verstehen, was du mit dem Begriff “unnatürlich” meinst, magst du mir mehr darüber erzählen?”.  Der Begriff “Natürlich” ist sehr schwammig und kann in verschiedener Weise verstanden und genutzt werden. Wahrscheinlich ist hier gemeint, dass Supplements in Form von Tabletten, Kapseln, Sprays oder Pulvern eingenommen werden und isolierte Nährstoffe enthalten. Eine vollwertige Ernährung mit frischen, selbst zubereiteten Lebensmitteln ist in einer rein pflanzlichen Ernährung in der Tat zu bevorzugen. Vitamin B12 muss in einer rein pflanzlichen Ernährung zwangsläufig supplementiert werden. Auch die Versorgung mit den anderen potenziell kritischen Nährstoffen in einer rein pflanzlichen Ernährung kann durch Supplements gut unterstützt werden. Dies gilt gleichzeitig allerdings auch für alle anderen Ernährungsformen. Die Versorgung mit Vitamin D, Vitamin B12, Eisen, Zink, Selen, Jod, Omega 3 Fettsäuren und weiteren Nährstoffen ist in der Gesamtbevölkerung nicht optimal. Ein weiteres hilfreiches Argument ist, dass der Körper Nährstoffe benötigt und nicht spezielle Lebensmittel. Es ist damit egal, ob das Calcium aus Milch, aus Brokkoli oder aus der Rotalge stammt. Viele nicht-VeganerInnen wissen zudem nicht, dass die sogenannten “Nutztiere” in der Tierindustrie sehr viele Supplements über ihr “Kraftfutter” bekommen. So können wir diese doch besser selbst auf kontrollierte Art und Weise zu uns nehmen.


“Ersatzprodukte sind reine Chemie und ungesund und bestehen nur aus Zusatzstoffen.”

Dies ist eine willkommene Rechtfertigung, sich nicht vegan zu ernähren, die auch gerne und leider erfolgreich von der Tierlobby postuliert wird. Dieser Mythos hat mehrere Aspekte. Zunächst wird eine vegane Ernährung mit dem Verzehr von Ersatzprodukten gleichgesetzt. Eine einfache Formel: Vegan = Ersatzprodukt = ungesund. Das ist natürlich nicht der Fall. Niemand wird gezwungen, Ersatzprodukte zu konsumieren. Grundsätzlich lautet die Empfehlung schon, bei einer rein pflanzlichen Ernährung vollwertig und frisch mit möglichst gering verarbeiteten Lebensmitteln zu kochen. Dennoch sind sogenannte Ersatzprodukte gleichzeitig hilfreich, wenn wenig Zeit zum Kochen oder wenig Kocherfahrung vorhanden ist. Auch helfen sie beim Einstieg in die vegane Ernährung und ahmen Geschmäcker und Texturen nach, die viele Menschen wertschätzen und womit sie aufgewachsen sind – nur eben ohne dass dafür ein Tier leiden muss. 

 
An dieser Stelle möchte ich anregen, den Begriff “Ersatzprodukt” durch “veganes Produkt” zu ersetzen, um zu verdeutlichen, dass diese Produkte für sich stehen, eigene Entwicklungen sind und nicht ausschließlich etwas ersetzen sollen, sondern etwas Neues anbieten.
 

Die Anzahl und Art der Zusatzstoffe bzw. der Nährwerte schwankt von Produkt zu Produkt. Sicherlich gibt es Produkte mit vielen E-Nummern und langen Zutatenlisten, hohem Salzgehalt und einem hohen Anteil gesättigter Fettsäuren. Es gibt dagegen auch Produkte mit wenigen Zutaten, die aus natürlichen Quellen stammen und wenig Fett und Salz enthalten. Die Entwicklung geht hier stetig weiter und kommt den KundenInnenwünschen nach. Die Gleichsetzung von Chemie gleich ungesund ist auch nicht allgemeingültig. Klar, es ist keine gute Idee, Salzsäure zu trinken. Allerdings sind viele Prozesse wie Fermentierung, Backen, Räuchern usw. chemische Prozesse, also Prozesse, in denen Stoffumwandlungen ablaufen. Dadurch werden diese nicht ungesund. Nahezu alle unsere Lebensmittel sind mehr oder weniger verarbeitet, nicht nur die veganen. Gerade Produkte wie Chips oder Wurst sind stark verarbeitet. Seltsamerweise werden diese wenig kritisiert. Du kannst die nicht-vegane Person fragen, woher sie die Information hat und ob sie selbst konkrete Produkte geprüft und ausprobiert hat. Welche Bedenken und Ängste hat die Person?


“Wenn die Tiere ein gutes Leben haben, ist es ja ok, wenn sie irgendwann für unser Essen ‘sterben’.”

Zu diesem Mythos trägt die Tierindustrie mit ihren Werbekampagnen sehr erfolgreich bei. Der Mythos von glücklichen Kühen auf der Weide und gemütlichen Schweineställen dominiert die Vorstellungswelt der Menschen. Mit der Wirklichkeit hat dies nichts zu tun. Die Massentierhaltung (95 % in Deutschland 2023 lt. Animal Equality) mit engen, dreckigen Ställen ohne Beschäftigungsmöglichkeiten, mit Anbindehaltung, Kastenständen und Qualzuchten ist die Normalität. Frage die nicht-vegane Person, was sie mit einem guten Leben genau meint? Wie realistisch ist diese Vorstellung? Was hat die Person selbst beobachtet? Und konsumiert die Person selbst Tierprodukte, von Tieren, die ein gutes Leben hatten? Es wird hier versucht etwas Schlechtes, nämlich die Ermordung eines Lebewesens um dieses aufzuessen, mit etwas Gutem, “ein gutes Leben”, auszugleichen. Es wird implizit zugestimmt, dass die Ermordung etwas Schlechtes ist, dass eine Rechtfertigung braucht. Im Umkehrschluss hieße das allerdings auch, dass es NICHT OK ist, Tiere zu töten, die kein “gutes Leben” hatten. Die Person spricht sich also indirekt gegen die Massentierhaltung aus. Dieses Zugeständnis könnte man durch gezielte Fragen von der Person erhalten: “Verstehe ich dich richtig, dass es umgekehrt NICHT OK ist, ein Tier zu töten, wenn es kein “gutes Leben” hatte?”. Wenn dies bejaht wird: “Stimmst du zu, dass du damit sagst, dass es NICHT OK ist Tierprodukte aus Massentierhaltung zu konsumieren, da diese per se schlecht ist?”. 

Die Tötung, die Ermordung eines Lebewesens ist der ultimative Eingriff in seine Grundrechte auf ein leidfreies Leben. Der Mensch bestimmt willkürlich über Leben und Tod von Tieren. Dies erfolgt unabhängig von der Lebensqualität, die ein Tier hatte.

Hinzu kommt, dass auch eine vermeintlich “gute Haltung” durch Qualzucht für maximalen Profit, Verstümmelung, Zwangsbesamung, Trennung von Mutter und Kind, Tötung von überschüssigen und vermeindlich “nutzlosen” Tierkindern, Diebstahl von Körpersekreten und schließlich der gewaltsamen Tötung geprägt ist. Ganz egal ob im konventionellen System oder in Biobetrieben. Ein “gutes Leben” ist somit eine Illusion!

Wenn ein “gutes Leben” sogenannter Nutztiere wirklich existieren würde, dann müsste es von wahrer Liebe und Fürsorge für die Tiere bestimmt sein. Wie passt dies zu den wahren Haltungsbedingungen und wie passt dies dazu, dass der Landwirt irgendwann beschließt, das “geliebte” Tier zu ermorden? Das ist ein Paradox. 

Schließlich würde ein Tier, das tatsächlich ein gutes Leben führt, auch weiterleben wollen. Es erscheint zynisch zu sagen: “Jetzt wirst du getötet. Das ist aber ok und gar nicht schlimm, weil du ja bis jetzt ein gutes Leben hattest.”

Man könnte auch fragen, warum es der Person wichtig ist, dass ein Tier ein vermeintlich gutes Leben hat? Ist es der Person wichtig, dass es dem Tier gut geht und es nicht leidet, kannst du weiter fragen, wie dieser Wunsch zu der finalen Ermordung des Tieres passt. Das Wort “sterben” in der Aussage suggeriert zudem einen sanften Tod, ohne Gewaltanwendung. Der Mord wird als freiwilliger Tod verharmlost. Hier lohnt es sich nachzufragen, wie die Person sich das Ende des Tieres vorstellt. Möglicherweise hat die Person verklärte Vorstellungen von einer sanften, schmerzlosen Schlachtung.


“Vegan ist mir zu extrem.”

Diese Behauptung stellt eine vegane Lebensweise als etwas sehr schwer umsetzbares aus Sicht der Person dar. “Extrem” hat hier eventuell auch einen negativen Beigeschmack. Vergleiche z.B. die Wirkung der Worte “Extremist” (Negativ) gegenüber “Extremsportler” (Positiv). Vegan zu leben würde die Person an ihre Grenzen bringen und VeganerInnen sind grenzwertig. Es kann gemeint sein, dass die vegane Lebensweise viel zu weit weg vom Mainstream ist, oder es kann gemeint sein, dass die Person mit einer veganen Lebensweise einen großen Verzicht verbindet.

Was meint die Person jedoch genau? Du kannst nur vermuten, ob dahinter Unsicherheit oder Ablehnung und Vorbehalte stehen. Frage nach: “Ich möchte gerne verstehen, was du mit “extrem” meinst, magst du mir Beispiele geben, wo du diesen Gedanken hattest?”. Aus moralischer Sicht ist diese Aussage geradezu paradox. Wir könnten die Person fragen: “Was ist für dich aus moralischer Sicht extremer? Vegan zu leben und damit Leid und Tod von Tieren zu vermeiden, oder Nicht-Vegan zu leben und damit Leid und Tod von Tieren zu verursachen?”. Sollte die Person versuchen abzulenken und ihren Beitrag an Leid und Tod von Tieren leugnen oder relativieren wollen, beharre zunächst auf eine klare Antwort. Ist die Person dazu nicht bereit, frage sie, welche Auswirkungen ihr Verhalten ihrer Meinung nach auf das Leben von Tieren hat.


“Ich verstehe nicht, warum VeganerInnen “Ersatzprodukte” essen, die Fleisch oder Milchprodukten nachempfunden sind. Da können sie auch direkt Fleisch essen.”

Mit dieser Aussage wird versucht, VeganerInnen als inkonsequente Menschen darzustellen, die sich konträr zu ihren moralischen Werten verhalten. VeganerInnen sollen so diffamiert werden, um sich selbst zu entlasten und indirekt das eigene Verhalten zu rechtfertigen. 

Frage nach, was genau dein Gegenüber nicht versteht: “Ich mochte den Geschmack von tierlichen Gerichten bis ich erkannt habe, welches Tierleid damit verbunden ist. Mit veganen Ersatzprodukten kann ich einen ähnlichen Geschmack und Textur genießen – komplett ohne Tierleid. Magst du mir erklären, wo du einen Widerspruch siehst?”.

Vegane “Ersatzprodukte” bilden zum Teil Optik, Haptik und Geschmack von tierlichen Produkten nach. In einigen Fällen mag dies über das Ziel hinausschießen, wenn Gerichte wirklich wie ein Tier-Leichnam aussehen, zum Beispiel Hähnchenkeulen oder Gänsebraten. Oder die Bezeichnungen 1:1 übernommen sind, wie “veganer Entenbraten”. Darüber kann man streiten. Letztendlich wollen wir als VeganerInnen auch nicht an Tierleid erinnert werden. Dies passt hier nicht wirklich zusammen. 

Dennoch ist auch das noch so gut nachgeahmte vegane Ersatzgericht nie mit Tierleid verbunden. Also brechen VeganerInnen hier nicht mit ihren moralischen Werten. VeganerInnen mochten in ihrem nicht-veganen Leben eventuell sehr gerne Fleisch, Fisch und Eier und freuen sich, dass sie ähnliche Geschmäcker und Texturen nun auch ohne Tierleid genießen können. 


“Woher kriege ich denn mein Protein/Kalzium/Eisen?”

Den fraglichen Nährstoff kann man beliebig ersetzen. Es kann sich bei einer solchen Frage, oder einer ähnlichen Aussage, um fehlendes Wissen bzw. andersherum um echtes Interesse nach Informationen zu einer rein pflanzlichen Ernährung handeln. So kannst du zunächst offen reagieren: “Ich höre, du hast Sorge, dass du bei einer veganen Ernährung nicht ausreichend mit bestimmten Nährstoffen versorgt bist, ist das richtig?”. Wenn du dich sicher fühlst, selbst weitere Details zur pflanzlichen Ernährung zu geben, kannst du fragen, ob die Person Informationen zum Thema von dir hören möchte und eventuell auch weitere Unterstützung anbieten.

Alternativ, kannst du das generelle Statement geben, dass alle essentiellen Nährstoffe von einer ausgewogenen, gut geplanten pflanzlichen Ernährung abgedeckt werden können. Du kannst dabei auf das aktuelle Statement der DGE verweisen, das eine gut geplante pflanzliche Ernährung für Erwachsene als gesundheitsfördernd definiert. Viele Menschen haben ein lückenhaftes Wissen rund um das Thema Ernährung. Sie kennen eventuell nicht die Unterschiede zwischen Proteinen, Kohlenhydraten, Fetten, Mineralstoffen und Vitaminen. Oder ihnen ist nicht klar, dass alle Nährstoffe ursprünglich aus Pflanzen kommen oder von Bakterien produziert werden und nicht von Tierprodukten. Die Nährstoffe in Tierprodukten stammen ebenfalls ursprünglich aus Pflanzen. Gute Proteinquellen sind zum Beispiel Hülsenfrüchte wie Bohnen, Linsen, Lupine. Dies ist in Vergessenheit geraten. Das starke Lebewesen, sich rein pflanzlich ernähren können, zeigen Beispiele wie Ochsen, Gorillas oder auch der Sportler Patrik Baboumian. Calcium gibt es in Grünkohl, Sesam, Nüssen, Mineralwasser oder auch Algen und Korallenpulver. Gute Eisenlieferanten sind Linsen, Vollkorngetreide, Nüsse und Chia- oder Leinsamen. Omega-3 Fettsäuren stammen aus Algen. Die Fische liefern Omega-3 nur deshalb, weil sie selber Algen essen!


 

Falle nicht in die Kommunikationsfallen 

  • Gefühle vor Fakten

    • Verfalle nicht sofort in den “Erklär-Modus”

    • Nutze “Ich-Botschaften” und gebe Einblick in deine Werte und dein Weltsicht

    • Verbindung schaffen und so gegenseitiges Verstehen ermöglichen und fördern

  • Verstehen heißt dabei nicht “Einverstanden zu sein”!

  • Fragen, Fragen, Fragen: 

    • Was bewegt dich?

    • Was denkst du selber darüber?

    • Woher stammt diese Info?

    • Wurde tiefer recherchiert und nachgefragt?

    • Wie glaubhaft sind die Quellen? Und wenn auf Studien referenziert wird

      • Wie gut ist die Studienqualität: Unabhängigkeit, Stichprobenmenge, Bias

  • Vermute zunächst echtes Interesse oder schlicht Unwissen

  • Frage, ob dein Gegenüber Fakten zu einem Thema hören möchte

  • Achtung: Du musst nicht alles wissen!

    • Niemand ist ExpertIn für alle Themen – nimm offene Punkte mit

  • Zurückkommen auf die Essenz: 

    • Empathie und Respekt vor dem Leben aller Tiere braucht keine rationale Erklärung. Es ist ein moralischen Grundprinzip, dass das Leitbild einer modernen Gesellschaft sein sollte

  • Vermeide, dass deine GesprächspartnerInnen vom Thema abschweifen (“Whataboutism”)

 

Wage den Perspektivenwechsel

Es gibt auch “nicht-vegane Mythen”. Auch VeganerInnen kommen Mythen und Behauptungen gelegen, wenn sie den eigenen Vorstellungen und Bias entsprechen und diesen stärken. Das Problem bei Mythen ist leider auch hier, dass sie nicht vollständig der Wahrheit, nicht ganz den Fakten entsprechen und so eher schaden als helfen können. Nämlich dann, wenn sie direkt oder später widerlegt werden und sich als unwahr herausstellen. Das schadet der Glaubwürdigkeit der veganen Bewegung. Zum Beispiel die Aussage “Du kannst dich komplett ohne Supplements gesund vegan ernähren." In der Tat ist es generell zu bevorzugen möglichst wenig und gering dosierte Supplements zu nutzen. Allerdings ist die Supplementierung von Vitamin B12 ein MUSS in einer rein pflanzlichen Ernährung!

Ich höre auch oft die undifferenzierte Aussage, dass Osteoporose durch (eine hohe) Aufnahme tierlicher Proteine gefördert wird. Aktueller Stand der Studien ist, dass eine hohe Aufnahme schwefelhaltiger Proteine, wie es bei tierlichen Lebensmitteln der Fall ist, zu einer erhöhten Calziumaufnahme im Darm führt und dieses zusätzliche Calcium über die Niere ausgeschieden wird. Es handelt sich also nicht um Calcium, das den Knochen entzogen wird und so die Knochenstabilität mindern könnte. Einen solchen Effekt gibt es allerdings bei einer Azidose, also einer dauerhaften Übersäuerung des Körpers und einer geringen Calciumzufuhr (Leitzmann und Keller - Vegetarische und vegane Ernährung. 4. Auflage, 2020, Kapitel 7.9, ab Seite 247).

Auch die Geschichte über die Suchtwirkung von Casomorphinen in Käse findet sich immer noch. Der PeTA Artikel klärt diesen Mythos auf. Die Menge dieser Morphine ist winzig und die Aufnahme gering. Die Suchtwirkung von Salz, Fett und Umamigeschmack ist wesentlich höher, was die Beliebtheit von Chips und Pizza erklärt. Käse ist lecker, das wissen “nicht-vegan” Geborene nur zu genau. Machen wir uns klar und erkennen, welches Leid mit der Herstellung von Käse verbunden ist, überwiegen das Mitgefühl und das rationale Denken das Bedürfnis nach dem Geschmack von Käse. 


 

“Vegane Mythen”, Vorurteile und Fehlinformation sind allgegenwärtig. Sowohl Fakten als auch die Kommunikation auf der Gefühlsebene sind notwendig, um sie aufzulösen. Im besten Fall verstehen deine GesprächspartnerInnen dich und kommen zu neuen Erkenntnissen. So ist ein Diskurs über “vegane Mythen” immer eine Chance für den Veganismus und die Tiere. Und mindestens ein Übungsfeld, um dich weiterzuentwickeln. Klage dich nicht selbst an, wenn ein Gespräch nicht optimal verläuft. Es mag sich traurig und frustrierend anfühlen und dennoch kannst du daraus lernen. Auch braucht es viele Impulse, bis Menschen in eine Phase des Problembewusstseins, der Veränderungsbereitschaft und schließlich der Veränderung kommen. Jedes Gespräch trägt dazu bei.

 

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